Ein Verdacht bezieht sich auf etwas Unrechtes, Schlimmes, meist verbunden mit böser Absicht. Ich habe jemand in Verdacht, dies oder jenes angestellt zu haben, schuld an etwas zu sein. Demjenigen, der unter Verdacht steht, wird unterstellt, er habe etwas Böses getan.
Diese Bedeutung vermittelt das Wort ‚Verdacht‘, so wie es üblicherweise umgangssprachlich verwendet wird. Dieselbe Bedeutung wird auch bei der Verwendung des Wortes ‚Verdachtsfall‘ mitvermittelt, selbst wenn es im medizinischen Zusammenhang gebraucht wird. Auch in anderen Kontexten evoziert das Wort den Frame der gewohnten Bedeutung mit und führt, bewusst oder nicht, zu entsprechenden gedanklich emotionalen Verknüpfungen, Assoziationen, Einschätzungen, Urteilen.
Wer in Verdacht steht, covid-positiv zu sein, hat mit einem Verfahren zu rechnen, das schon vor der Testung beginnt. Mitschuldige, Mitverursacher werden per contact tracing und Umfeldanalyse gesucht, sämtliche Kontakte und Bewegungen der betroffenen Personen in den letzten zwei Wochen möglichst lückenlos aufgeschlüsselt, durch Befragung, Mobiltelefone, Registrierungen, Überwachungskameras, etc. Bei positivem Testergebnis ist die Konsequenz Isolierung bzw. Quarantäne der betroffenen Personen. Keine Einzelhaft, kann sich aber so anfühlen.
Selbst wenn eine Maßnahme epidemiologisch gesehen richtig ist, die Auswirkungen gehen weit darüber hinaus. Wir gewöhnen uns an mehr Misstrauen, jede Person könnte Überträger*in sein und damit eine Gefährdung für mich bedeuten. Die Maske schränkt die Kommunikation durch Verdecken der Mimik deutlich ein. An der Mimik kann ich aber am besten erkennen, was in der anderen Person vorgeht, und mitfühlen oder auch nicht. Singen ist so alt wie die Menschheit, Gesänge haben tiefe sozial (ver)bindende Wirkung – verboten. Der natürliche Impuls, eine Person, die ich mag, zu umarmen – gedrosselt, ältere kranke oder demente Menschen erreicht man oft nur noch über Berührung – zu gefährlich, …
Fast sämtliche Maßnahmen bezüglich der Pandemie zielen auf partielle soziale und sensorische Deprivation, auf Isolation und Vereinzelung. (Körper)Kontakte im privaten, beruflichen und alltäglichen Leben werden reduziert, Ängste und Misstrauen geschürt. Die Maßnahmen fördern das Gegeneinander statt Miteinander und nebenbei noch die Neigung zu Feindbildern, Rassismus und Denunziantentum.
„There is no society, just individuals“. Einzelwesen treiben auf ihren schmelzenden Eisschollen und winken einander zu. Oder wir paddeln an Land und solidarisieren uns.
Noch haben wir die Wahl.
Stephan Burgstaller